Geschichte
2008: Eine Initiative geht an den Start
Im Jahr 2008 riefen die damalige lesbisch-schwule Schulaufklärung (SchLAu) NRW und die Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in NRW gemeinsam die Initiative „Schule ohne Homophobie – Schule der Vielfalt“ ins Leben.
Ein Auslöser dafür war die Kenntnis von konkreten, zum Teil schwerwiegenden, Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen. Bei der weiteren Evaluation des Themas wurde deutlich, dass an vielen Schulen ein Klima herrscht, das von Unwissen, Ängsten, Vorurteilen und feindlichen Haltungen gegenüber Homosexualität geprägt ist. Dies äußert sich im abwertenden Gebrauch des Wortes „schwul“ aber auch in konkreten verbalen und körperlichen Übergriffen gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Schüler_innen und Lehrer_innen.
SCHLAU NRW und die Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in NRW hatten bei ihrer Antidiskiminierungsarbeit den Eindruck, dass die bisherigen Anstrengungen zur Bekämpfung von Homophobie in der Schule nicht ausreichend sind.
- So wurden betroffene Schüler_innen und Lehrer_innen sowie das Lehrerkollegium überwiegend erst dann tätig, wenn es bereits schwerwiegende Vorfälle von Diskriminierung oder Gewalt gab.
- Nur ein besonders engagierter Teil der Lehrerinnen und Lehrer sah die Notwendigkeit, Kontakt zu SchLAu aufzunehmen, um über Aufklärung aktiv Vorurteile unter den Schülerinnen und Schülern abzubauen.
- Eine Mehrzahl der Schüler_innen sowie des lesbisch-schwulen Lehrpersonals sieht unter diesen Umständen keine andere Wahl, als die eigene sexuelle Identität zu verbergen.
- Auch heterosexuelle Lehrerinnen und Lehrer – so die Erfahrung von SchLAu und der Landeskoordination – befürchten negative Reaktionen durch Schüler_innen, Kolleg_innen und Eltern, wenn sie sich aktiv für das Thema „Homosexualität“ einsetzen.
Weiterhin wurde 2008 festgestellt:
„Häufig sind mangelnde Reaktionen auf homophobe Äußerungen aber auch ein Ausdruck von fehlendem Know-how. Das Thema „Homophobie“ und geeignete Maßnahmen zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Lesben und Schwulen sind weder Teil der Lehrer_innenausbildung, noch gibt es Lehrpläne oder offizielle Unterrichtsmaterialien dazu.
Angesichts dieser Ausgangslage verwundert es nicht, dass es Lehrkräften häufig an Ideen mangelt, wie dem Thema „Homosexualität“ außerhalb des Biologieunterrichts sinnvoll und situationsadäquat begegnet werden kann.
Lehrer_innen und Schulsozialarbeiter_innen, die bereits gegen Homophobie aktiv sind, verweisen außerdem darauf, dass ein „gewisses Standing“ notwendig ist, um offen negativen Reaktionen der Jugendlichen auf das Thema „Homosexualität“ zu begegnen und Konflikte, die darüber in den Schulklassen entstehen können, aufzufangen.
Dies bedeutet, dass ähnlich wie beim Thema „Rassismus“ oder dem Thema Mobbing insgesamt, Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die es Lehrer_innen leichter machen, Maßnahmen gegen Homophobie in den Schulalltag zu integrieren.“ (Bericht 2008-2010, S. 7)
Deshalb war es das Ziel der Initiative, in Nordrhein-Westfalen eine gesellschaftliche Öffentlichkeit für die Ächtung von Homophobie in der Schule herzustellen und so sowohl strukturelle als auch individuelle homophobe Diskriminierung und Gewalt in Schulen zu stoppen.
Dabei war und ist es zunächst notwendig, darüber zu informieren, wie sich Homophobie an der Schule äußert und warum diese sowohl für betroffene Schüler_innen und Lehrkräfte als auch die Schulgemeinschaft als Ganzes ein Problem darstellt. Homophobie wird – das wurde im Vorfeld der Initiative deutlich – häufig nicht erkannt oder anders als zum Beispiel Rassismus nicht als problematisch eingestuft. Darüber hinaus gab es von Seiten der Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen sowie der Schulverwaltung und Teilen der Politik Vorbehalte dagegen, das Thema „Homosexualität“ aktiv in der Schule zu thematisieren. Als Grund dafür wurde zum Beispiel genannt, dass Homosexualität – wie Sexualität überhaupt – kein Thema an der Schule sei. Seltener offen geäußert werden eigene Vorbehalte oder negative Einstellungen, zu denen das Vorurteil gehört, dass Jugendliche durch die offensive Bearbeitung des Themas „Sexuelle Identität“ zur „Homosexualität verführt“ werden könnten. Widerstand entsteht auch in Bezug auf die Frage, warum sich eine Mehrheit mit dem Thema einer Minderheit auseinandersetzen muss.
2012: Von der Initiative zum NRW-Landesprojekt
Am 30.10.2012 hatte die Landeregierung NRW den Aktionsplan „für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie“ beschlossen. Der Aktionsplan sollte dabei als „Querschnittsaufgabe der Landesregierung“ von allen Ressorts umgesetzt werden.
Im Bereich der Schule wurde das Schulministerium NRW mit Beginn des Schuljahres 2012/2013 Kooperationspartner von Schule der Vielfalt in NRW. Mit der Kooperation wurde eine Phase beendet, in der das Projekt nur sehr eingeschränkt über personelle und finanzielle Ressourcen verfügt hat. Die Mitarbeiter_innen des RUBICON und von SCHLAU Köln, der Rosa Strippe und von SCHLAU NRW hatten seit 2008 viele ehren- und hauptamtliche Stunden in die öffentlichkeitswirksame Kampagne und das Schulprojekt investiert, die beide zusammen das Herzstück des Projekts „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ bildeten. Die Akteur_innen konnten dieses Engagement aufgrund anderer z.T. neuer beruflicher Verpflichtungen seit Mitte 2010 deutlich weniger aufbringen als zuvor. Mit der Beauftragung einer hauptamtlichen Landeskoordination war diese „Durststrecke“ nun beendet.
Am 26.10.2012 wurde im Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen der Kooperationsvertrag zu Schule der Vielfalt unterzeichnet.
Die damalige Schulministerin Sylvia Löhrmann unterstrich, wie wichtig es ist, die Förderung der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensformen im schulischen Alltag zu verankern: „Die Schule soll ein Ort sein, an dem Jugendliche sich sicher fühlen und an dem sie frei von Ängsten und selbstbewusst zu ihrer sexuellen Identität stehen können. Für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist es von großer Bedeutung, dass gerade in den Schulen Vielfalt und Verschiedenheit gelebt und wertgeschätzt wird“, so Ministerin Löhrmann.
Welche Aufgaben bereits im ersten Jahr der Kooperation durch die neue Landeskoordination bewältigt worden sind, schildert anschaulich der erste Jahresbericht für das Schuljahr 2012/2013.
2018: Erfolgreiche Arbeit – ein Programm modellhaft über NRW hinaus
Schule der Vielfalt ist eine Erfolgsgeschichte. Zwischenzeitlich ist aus der Initiative, die ursprünglich regional begrenzt war, ein bundesweites Netzwerk von Projektschulen geworden. Am 17.05.2015 gründete sich das Bundesnetzwerk Schule der Vielfalt. Heute gibt es in 14 der 16 Bundesländer Ansprechpersonen für Schule der Vielfalt. Was fehlt ist eine koordinierende Stelle auf Bundesebene, die das Modellhafte des Programms weiterträgt.
Das erfolgreiche NRW-Landesprogramm, das heute sowohl Schulprojekte durch teilnehmende Projektschulen als auch regelmäßige Fortbildungen im Bildungsbereich beinhaltet, wurde 2018 für mindestens weitere fünf Jahre, bis 2023 verlängert. In der Zwischenbilanz 2018 wird deutlich, wie umfassend die weitere Agenda für mehr Akzeptanz im Bildungsbereich für die nächsten Jahre bleibt – im Bund wie im Land.
Berichte
– 2021: Jahresbericht 2020
– 2020: Jahresbericht 2019
– 2018: Zwischenbilanz zu Schule der Vielfalt nach 10 Jahren
– 2015: Bericht über 3 Jahre NRW-Kooperation (2012-2015)
– 2014: Jahresbericht der Landeskoordination 2013/2014